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Die Vorbereitungszeit
Assisi, Herbst 1993, der vierte Besuch. Warum? Wir, die Leiter und Mitarbeiter
des Stammes Wenholthausen hängen inzwischen an diesem Städtchen; aber
auch an der einsamen Landschaft Umriens.
"Tau `90" hieß das Diözesanunternehmen der DPSG, an dem wir in den Herbstferien
1990 mit 3 Leitern (Ulrike, Peter und Martin) teilgenommen hatten; zusammen
mit unseren zehn eigenen(!) Kindern (wir erinnern uns noch gut an die
ungläubigen Gesichter der Diözesanleitung) und Andree. Bis zu diesem
Zeitpunkt war Assisi und Umbrien für uns höchstens ein Fleck auf der
Landkarte; von Franziskus wußten wir auch nicht gerade allzu viel -
und wer war Klara?
Ende Oktober waren wir schlauer - und hatten Eindrucksvolles erlebt.
Soviel, daß wir bereits im nächsten Herbst mit einer achtköpfigen Gruppe
erneut während der Herbstferien für zehn Tage dorthin fuhren (im Prinzip
Martin und Wilfried mit ihren Familien, "verstärkt" durch Sarah, die
ja auch schon im Vorjahr dabei gewesen war. Wir begannen in Colle und
wanderten mit einem Zwischenbiwak nach Assisi - auf die harte Tour mit
allem Gepäck. Danach wieder um viele Erlebnisse und Eindrücke reicher.
Das hatte Lust gemacht auf ein Truppunternehmen: Im Sommer 1992 ging
es mit 19 Jungpfadfindern und Leiter für zehn Tage auf den inzwischen
fast "heimischen" Platz von Franco Rambotti. Diesmal war es um einiges
heißer! Wieder eine zweitägige Wanderung, diesmal mit Übernachtung auf
dem Monte Subasio. Allein für den Sonnenaufgang lohnte die Tour!
Inzwischen hatten wir festgestellt, daß nur wenige Kilometer hinter
Assisi ein ganz anderes Land begann: das einsame Umbrien - noch völlig
unberührt von den Touristenströmen. Auch die An- und Rückreise mit der
Bahn hatte sich als äußerst streßfrei erwiesen.
Und dann kam im Mai `93 wieder irgendwie das Gespräch auf Assisi. Von
da bis zur Entscheidung war aber ein schwieriger Weg. Bei einem Leitertreffen
wurde das Projekt vorgestellt: viele wollten mit - aber nach und nach
bröckelte der Teilnehmerkreis ab. Dies leider mit schlimmen Folgen für
die Organisation! Durch das Abwarten, bis sich auch noch der Letzte
entschieden hatte, waren die gewünschten Liegewagenplätze für die Hinfahrt
natürlich weg; übrig blieb nur noch ein Nachtzug, der schon um halb
neun ab München startete. Und für die Rückfahrt gab es ganz lange Gesichter:
alles ausverkauft!
Aber: 14 Leute unseres Stammes waren dennoch fest entschlossen! Fast
alles "alte Hasen"; nur Bärbel als Neuling mit dabei.
In den letzten Wochen wurde natürlich kräftig vorbereitet: Material
mußte gepackt werden, Einkäufe getätigt werden. Vor allem der Schriftkram
(Anträge, Sonderurlaub, Platzbuchung usw) eilte. Klar war auch bald,
daß eine Teilgruppe auf eine längere Wandertour gehen würde.
Auch hier war eine Menge vorzubereiten. Schon im Vorfeld entschieden
wir uns für eine bestimmte Route - der Monte Cucco interessiert uns;
aber auch einige Strecken aus dem Reiseführer "Wanderungen in Umbrien".
Hier hatten es uns die einzelnen Etappen des "GEA" angetan.
Und welch eine Überraschung: am Tag vor der Abfahrt ein Anruf des Bahnhofs
Meschede - unsere Bundesbahner haben doch noch einen Zusatzwaggon für
die Rückfahrt dranhängen können! Wir mußten uns nur noch auf den Weg
machen! Und das taten wir dann auch!
Freitag, 8.10.93, 1. Tag
Nach teilweise doch noch hektischer Vorbereitung ist es nun endlich
so weit: Abfahrtstag! Je nach zeitlicher Planung sind die Rucksäcke
schon am Vorabend gepackt worden oder werden jetzt in letzter Minute
geschnürt. Was dabei jedesmal wieder an Unmengen zusammenkommt!
Einige haben Sonderurlaub bekommen; die Schüler am Samstag teilweise
frei und heute, am Freitag, die letzten Stunden auch noch frei erhalten.
Martin darf als einziger bis 13.15 Uhr zur sechsten Stunde arbeiten.
So haben wir uns für diese Zeit an der Schule verabredet. Peter fährt
vormittags noch schnell nach Meschede zum Bahnhof, um die in letzter
Minute eingetroffenen Liegewagenkarten für die Rückfahrt zu holen.
Pünktlich sind alle versammelt. Während die Fleißigen unter uns die
Seesäcke aus dem Pfadfinderraum herunterholen, diskutieren die anderen
über die Wagenverteilung. Heidi, Beate und der schwarze Peter sind ebenfalls
zur Verabschiedung erschienen. Martin wirft sich das Klufthemd über;
dann geht`s auf in die Autos. Peters Bruder und Jans Tante fahren uns
freundlicherweise zum Bahnhof nach Freienohl. Dort beim Ausladen die
erste unerfreuliche Überraschung: die eingeplanten Vorräte sind noch
nicht alle eingekauft. Für Sebastian und Michael kein Problem; es sind
ja noch 20 Minuten bis zur Zugabfahrt; also schnell rüber zum Lidl und
letzte Einkäufe erledigt.
Auf dem Bahnsteig das inzwischen schon gewohnte Bild: Berge von Rucksäcken
und Seesäcken. Die Stimmung ist - ebenfalls wie gewohnt - ausgezeichnet.
Die beiden mutigen Einkäufer kommen gerade noch rechtzeitig. Dann läuft
der Zug ein: Freitagmittag, d.h. vollbeladen mit Keglern in Richtung
Willingen. Für uns heißt das konkret: Einsteigen in zwei Waggons; dort
im Flur beim Gepäck stehenbleiben. Der Schaffner klettert über unsere
Gepäckberge, tröstet uns aber, daß es ab Olsberg leerer würde. So ist
es - wir haben inzwischen einen ersten Schluck auf die Fahrt genommen.
Bis Warburg ist es nicht mehr lang; dort wird umgestiegen in einen Interregio
nach Kassel-Wilhelmshöhe. Dort ist es noch überfüllter; die Luft kaum
zum Atmen. Alle sind froh, als wir endlich auf dem Bahnsteig in Kassel
stehen. Die richtige Einstiegsstelle zu finden, ist beim ICE kein Problem;
er rollt auch pünktlich ein. Ob die reservierten Plätze wohl frei sind?
Sind sie natürlich nicht - wir müssen ein wenig nachhelfen. Leider können
wir nicht alle zusammensitzen - jetzt macht sich die kurze Vorbereitungszeit
störend bemerkbar: drei von uns sitzen einige Wagen weiter vorn in einem
Abteil. Peter, Bärbel und Marianne haben sich dazu bereiterklärt. Wir
anderen machen es uns vor den Videogeräten bequem und holen unsere Kopfhörer
hervor." Kindergarten-Cop" mit Arnold Schwarzenegger ist angesagt. Draußen
fliegt die Landschaft vorbei. Nur an der Anzeige an der Wagenstirnwand
erkennt man die hohe Geschwindigkeit. Zwischenzeitlich machen wir uns
am BTX-Terminal zu schaffen oder suchen die Flugzeug-Toiletten heim.
München; Viertel nach acht - wir müssen uns beeilen! Nur eine knappe
halbe Stunde Aufenthaltszeit. Unser Liegewagenzug über die Alpen steht
wie gewohnt am hintersten Bahnsteiggleis. Die drei reservierten Abteile
sind schnell gefunden; da sich kein anderer mehr meldet, können wir
uns mit den vierzehn Leuten auf den 18 Plätzen großzügig ausbreiten.
Ein letztes Brötchen mit heißem Leberkäse am Bahnhofskiosk, dann müssen
wir einsteigen. Auf dem Bahnsteig unterhalten uns einige Musiker mit
einem Frei-Konzert. Sie sind ebenfalls unterwegs nach Italien.
Bärbel und Marianne haben sich mit den Kindern in einem extra Abteil
eingerichtet; gut so, denn für die anderen wird es noch eine lange Nacht.
Leider ist die Heizung in den Liegewagen schlecht eingestellt; man wird
unangenehm von hinten geröstet. Von der Durchquerung der Alpen bekommen
wir in der Dunkelheit leider nicht viel mit.
Samstag, 9.10.93, 2. Tag
Schon lange vor Arrezzo sind wir wach. Die Betten werden abgezogen und
die Rucksäcke schon mal zur Tür gebracht. In Arrezzo haben wir nur kurzen
Aufenthalt. Der italienische Schaffner wartet ungeduldig, bis alles
rausgeschafft ist. Dann stehen wir allein auf dem Bahnsteig. Es ist
kurz nach sechs - Zeit für ein erstes italienisches Frühstück.
Diesmal halten wir uns an die Verbotsschilder, und überqueren die Geleise
durch den Tunnel. In der Cafeteria bestellen wir uns Kaffee oder heiße
Schokolade, mit Brötchen oder Plätzchen. An das italienische Geld müssen
wir uns erst einmal wieder gewöhnen. Draußen ist es inzwischen schon
angenehm warm - man merkt, daß man jenseits der Alpen ist.
Mit einem Regionalzug geht es weiter über Terrontola in Richtung Assisi.
Wir haben angenehme Reisebegleitung und genießen den Ausblick und Anblick.
Draußen zieht das "Mare dell`Umbria" vorbei, der Trasimenische See.
Leider stimmen uns die anderen vielen "Seen", sprich überfluteten Gebiete,
nicht gerade heiter. Hier scheint es in letzter Zeit tüchtig gegossen
zu haben. Wir trösten uns mit dem Gedanken, daß es ja nicht ständig
regnen kann. In den letzten Jahren hatten wir mit dem Wetter auch jedesmal
Glück.
Dann taucht schon Perugia mit seinen häßlichen Wohnblocks auf; kurz
danach sehen wir den Monte Subasio. Noch einige Minuten, dann laufen
wir in den Bahnhof von Assisi ein. Fast 24 Stunden Bahnfahrt liegen
hinter uns; etwa 1500 Kilometer. Natürlich geht das nicht ganz spurlos
an uns vorbei. Nach einer kleinen Rast auf dem Bahnsteig; die Rucksäcke
haben wir an einer Bank zusammengestellt, bleiben Bärbel, Christoph
und Sebastian als Aufpasser zurück. Die anderen machen sich auf, um
im "La Bottega" für das Wochenende einzukaufen. Martin gewinnt die Wette
bezüglich der Temperaturanzeige über dem Geschäft: weit über 20 Grad.
Vor einem Jahr hatten wir allerdings an der gleichen Stelle abends um
19 Uhr noch 34 Grad!
Hier, in diesem kleinen Supermarkt in der Nähe der großen Kuppelkirche
(die wir links liegen lassen) fühlen wir uns direkt wieder heimisch.
Das Gespräch kommt unwillkürlich auf 1992 (Stefan: "Die Würmer!"). Die
Weinflaschen befinden sich noch im gleichen Regal; ebenfalls die Tortellini-Packungen.
Stets von neuem überrascht sind wir von der Vielzahl der unterschiedlichen
Spaghetti-Sorten. Nach längerem hin und her haben wir dann alles, was
wir fürs Wochenende brauchen; einiges können wir ja auch im Minimarkt
auf dem Campingplatz besorgen.
Wir bummeln zurück zum Bahnhof (nehmen wieder die Abkürzung über die
Gleise) und machen erst einmal ausgiebig Rast. Wir sitzen in der Sonne
und freuen uns auf die Zeit, die vor uns liegt. Gewisse Sorgen bereitet
uns allerdings jetzt der Transfer zum Campingplatz. Die Fahrkarten für
den Stadtbus haben wir schnell am Kiosk besorgt; inzwischen schon fast
Routine. Aber wie soll es mit den schweren Seesäcken den Berg hoch gehen?
Der Bus bringt uns in zehn Minuten von der Neustadt hinauf nach Assisi.
Dann stehen wir auf der Piazza Mateotti. Wieder ein kleines Päuschen.
Da leider kein Taxi vorbeikommt, das wir anhalten könnten, ist guter
Rat teuer. In der gegenüberliegenden Carabinieri-Station erklärt ein
freundlicher Wachtposten, mit welcher Nummer wir ein Taxi heranbeordern
können. Martin probiert es am nächsten Münztelefon mit seinem minimalen
italienisch. Doch siehe da: fünf Minuten später fährt ein VW-Bus vor.
Jetzt wollen natürlich alle mitfahren! Es reicht immerhin für Bärbel
und die Kinder und unsere zusätzlichen Gepäckstücke. Der Rest macht
sich wohl oder übel in der prallen Mittagssonne zu Fuß auf den Weg.
Wir erinnern uns schlagartig: es ist ein längerer Weg, vorwiegend bergauf.
Wir spüren es auch auf den Schultern.
An der Rezeption melden wir uns an; Bärbel und Marianne bekommen ihre
Zimmerschlüssel zugewiesen. Zum Glück ist die Voranmeldung also richtig
registriert worden. Unten, auf "unserer" Terrasse ist alles frei. Das
Wasserbecken wird wieder unser Küchenzentrum werden; unsere drei Zelte
verteilen wir entlang des Weges. Vor dem Aufbau aber erst eine Rast
mit Blick hinunter ins Tal. Die Sonne scheint; das Wochenende hat begonnen
- was wollen wir mehr?
Auf dem Weg eine mittlere Pfütze; sie läßt uns ahnen, welche Regenmengen
noch vor Kurzem heruntergekommen sein müssen. Hier sind die ersten 500
Lire fällig für den Regengott! Dann kommen wir aber ums Zeltaufbauen
nicht herum. In der nächsten Stunde sind wir vollauf damit beschäftigt,
nacheinander (denn wir haben nur einen Hammer mitgenommen) zuerst das
neue Geodome für die Kinder; unser altehrwürdiges Tschernobyl und das
Dovrefjell hochzuziehen. Glücklicherweise haben wir diesmal nicht solche
Probleme mit den Häringen wie im letzten Jahr, als wir kaum einen Häring
unbeschädigt in den steinharten Boden bekamen. Vorausschauend richten
wir uns in den Zelten auch gleich häuslich ein, denn wir wissen aus
Erfahrung, wie schnell in dieser Jahreszeit die Nacht hereinbricht.
Danach wird der Gasbrenner angeworfen und einige Cappuccinos aufgebrüht.
Dann machen sich einige auf in die Stadt; Peter, Bärbel und Marianne
verschwinden auf ihren Zimmern und Martin und Sebastian hüten das Lager.
Um 19 Uhr ist Treffpunkt im "Dal Carro", unserer Stammpizzeria "Zum
großen Wagen". Hier ein erstes, ausgiebiges Abendessen auf italienische
Art. Bis auf die Biermarke, die seit dem letzten Jahr gewechselt hat,
ist alles noch beim Alten geblieben; wir sitzen an unserem gewohnten
Tisch und freuen uns, daß im Moment kein anderer Gast die vier einzigen
Literkrüge blockiert.
Dann geht es langsam wieder durch das abendliche Assisi zurück, zwischen
den Gartenanlagen hindurch hinauf ins Lager. Hier sitzen wir noch einige
Zeit in unseren bereits am Nachmittag eingerichteten Freiluft-Eßzimmer
und lassen den ersten Tag unseres Aufenthaltes in Italien ausklingen.
Schon werden einige Pläne geschmiedet für den morgigen Sonntag. In dieser
Nacht schlafen wir nach der anstrengenden Anreise alle recht fest.
Sonntag, 10.10.93, 3. Tag
Der Sonntag beginnt mit einem Schock! Als wir das Kaffeewasser heiß
machen wollen, finden wir weder Gas- noch Benzinbrenner! Nach unseren
Erfahrungen in Grünau sind wir auf alles gefaßt. Nach langem Suchen
finden wir die Teile dann im Vorbau von Tschernobyl - ordentlich aufgeräumt!
Wer hätte damit auch schon gerechnet?
Marianne bringt Brötchen, Marmelade und Milch aus dem Minimarkt mit
und wir genießen in der Morgensonne ein ausgiebiges Frühstück bis halb
elf. Damit hat sich die Frage des sonntäglichen Meßbesuchs zunächst
mal von allein erledigt.
In zwei Gruppen geht es wieder hinunter in die Stadt; die Jungen durchstreifen
auf eigene Faust die Altstadt; die größere Gruppe bummelt hinauf nach
La Rocca. Dort findet zur Zeit eine Ausstellung über mittelalterliche
Folterwerkzeuge statt. Schon im Eingangsbereich begrüßt uns eine große
Guillotine. In den einzelnen Räumen der Burg dann zeitgenössische Bilder
aller möglichen Arten, Menschen zu quälen und zu töten. Von wegen gute,
alte Zeiten!
Der Ausblick vom Turm vertreibt die trüben Gedanken: rings um uns herum
die eindrucksvolle, umbrische Landschaft. Wir sehen den Verlauf der
zweiten Wanderetappe vor zwei Jahren. War das eine Tour!
Über altbekannte Schleichwege geht es immer tiefer hinunter in die Altstadt;
in Richtung San Francesco. Unterwegs ein Kaffee in der Bar Metastasia;
dann treffen wir auf dem Vorplatz der riesigen Franziskuskirche wieder
auf die anderen. Wir streifen gemeinsam durch die Kirche bis hinab in
die Krypta.
Oben alles voll Touristen aus allen Nationen! Wir besorgen uns Karten
für den Stadtbus und lassen uns mit der Linea A bis zum Rathausplatz
bringen. Kurze Rast am Brunnen, dann geht`s weiter bis zur Piazza Mateotti,
leider der Endstation. Das Laufen zum Lager wird langsam lästig! Vorher
aber noch ein Blick auf die große Bustafel: so recht werden wir nicht
daraus schlau. Wir haben wohl die Möglichkeit, entweder über Gualdo
Tadino zum Monte Cucco zu kommen, oder aber mit der Bahn über Foligno.
Eine Nachfrage beim Platzwart bringt uns auch nicht weiter; er kennt
sich mit dem Weg zum Monte Cucco, dem geplanten Ausgangsziel unserer
mehrtägigen Trecking-Tour, auch nicht aus.
Am späten Nachmittag dann unser Mittagessen auf dem Platz; kurz darauf
machen sich viele schon wieder auf hinunter in die Stadt. Die Erwachsenen
bleiben mit Christoph und Sebastian zurück; sie wollen abends im "La
Stalla", dem Restaurant auf dem Gelände des Campingplatzes zu Abend
essen. Dies wird aber eine leidliche Enttäuschung. Da die italienische
Speisekarte nur mühsam zu entziffern ist; wird einiges auf gut Glück
(und Risiko) bestellt. Na ja, ausprobieren mußte man es ja mal. Wir
können sogar noch froh sein, überhaupt einen Platz bekommen zu haben.
Zurück auf der Lagerterrasse genießen wir den Abend. Unten in der Neustadt
wird ein großes Feuerwerk abgebrannt; aus einer Diskothek schallen Musikfetzen
herauf und wir sehen die Lichter einer Laser-Show am nächtlichen Himmel.
In Hinblick auf das morgige Abenteuer gehen wir sicher recht spät in
die Schlafsäcke.
Montag, 11.10.93, 4. Tag
Der Tag beginnt für alle früh - die ersten sitzen bereits gegen sieben
vor den Zelten und genießen die Stille, die warme Luft und den Ausblick
hinunter ins Tal. Gegen acht Uhr haben sich alle dann am Tisch versammelt.
Marianne bringt Brötchen, Butter und Milch aus dem Campingladen mit.
Danach wird es ernst: was soll man für drei, vier Tage alles einpacken,
was läßt man besser im Camp? Einerseits muß man mit der Ausrüstung sicher
auch auf schlechtes Wetter gefaßt sein, andererseits will ja auch alles
auf dem Rücken getragen werden. Jeder muß hier für sich persönlich entscheiden.
Festes Schuhwerk, Regenausrüstung, aber natürlich auch Schlafsack und
Isomatte sind schon mal dabei. Dazu kommt bei den Herren noch die Zelt-
und Kochausrüstung und ein Erste-Hilfe Grundset. Ein schmackhaftes Epa
vervollständigt das Gepäck, das leider doch schon wieder unangenehm
schwer geworden ist.
Unerwartet gibt es einige Probleme bei der Entscheidung, wer denn jetzt
genau auf die Trekking-Tour mitgehen wird. Schließlich haben sich elf
Leute für die Wanderung entschieden; Peter (sen) wird mit Bärbel und
Sebastian in Fontemaggio bleiben und das Zelt hüten.
Ein Blick auf die Uhr mahnt zur Eile! Es ist inzwischen schon nach elf!
Endlich ist alles verstaut, einiges im zurückbleibenden Geodome oder
in den Zimmern; das meiste aber in den Rucksäcken. Im Minimarkt werden
schnell noch einige Getränke gezischt, dann geht`s nach einer ausgiebigen
Verabschiedung los, und zwar im Eilschritt. Martin und Andree noch schneller
vorweg, denn es müssen ja noch die Buskarten gekauft werden - fragt
sich nur, wo?
In der ersten Bar verweist man uns zu einem anderen Tabacchi; der hat
zu, also weiter in die Innenstadt hinein. Endlich ein offener Laden!
Wie macht man sich jetzt auf italienisch verständlich? Aus Preisgründen
besteht die Gruppe plötzlich aus 4 Erwachsenen und 7 Kindern unter 12
- das wird mit großen und kleinen Strichmännchen schön aufgezeichnet
und dem Verkäufer präsentiert und siehe da: keinerlei Verständigungsprobleme.
Mit einem dicken Bündel Fahrkarten (exakt 33 Stück) kommen die beiden
abgehetzt zur Bushaltestelle zurück; gerade noch rechtzeitig (denken
sie). Allerdings wäre die ganze Hetze unnötig gewesen, denn die anderen
haben bereits gemerkt, daß wir uns um eine ganze Stunde vertan haben.
Also machen wir es uns auf dem Grünstreifen an der Bushaltestelle bequem.
Im nahen Laden gibt es zu zivilen Preisen (na ja, 1,80 die Flasche Würger)
kalte Getränke. So kann die Zeit sinnvoll mit einem Mittagsschoppen
überbrückt werden. Dann kommen auch noch die Schüler aus dem Gymnasium,
und unsere Jungmänner können Studien treiben. Dann ist es soweit: unser
Bus nach Gualdo Tadino kommt an. Während Martin sich mit dem Busfahrer
über die Strecke unterhält, vergessen die anderen beim Einsteigen mal
wieder, ihre Fahrkarten zu entwerten. Die 4800 Lire hätten wir uns sparen
können.
Nach kurzer Fahrt verlassen wir Assisi durch das östliche Stadttor.
Es ist zwei Uhr, und keiner weiß genau, wie der Tag heute weitergehen
wird. Nur eins ist klar: spätestens um sechs Uhr müssen wir einen Lagerplatz
gefunden haben, ehe es ganz dunkel ist. Der Bus quält sich durch endlose
Serpentinen durch das umbrische Hinterland; immer wieder durch winzige
Bergdörfer hindurch. Unterwegs sehen wir die Strecke, die einige vor
zwei Jahren schon mal gelaufen sind.
Der Fahrer weiß inzwischen, wohin wir wollen und wie unsere Wandertour
ablaufen soll. Immer wieder macht er uns auf besondere Berge am Horizont
aufmerksam. Dort hinten soll unsere Wanderung herführen?
Dann kommt zum ersten mal der Monte Cucco ins Blickfeld: hoch, kahler
Fels und noch elendig weit weg. Wie sollen wir da von Gualdo Tadino
aus bloß hinkommen. Es sind mindestens noch 15 Kilometer ( vom Höhenunterschied
mal ganz abgesehen). Und dann stehen wir plötzlich mit unserem Gepäck
verlassen auf einem einsamen Busplatz irgendwo in Gualdo Tadino - für
unseren Bus war es die Endstation - weitere Busse in Richtung Monte
Cucco fahren heute nicht mehr. Hier bleiben können wir natürlich nicht,
das ist uns klar! Laufen geht auch nicht, das wäre viel zu weit - außerdem
ist es schon gegen vier - nur noch zwei Stunden Tageslicht.
Im Reiseführer wurde auf die Möglichkeit eines Taxis hingewiesen. Sebastian
und Martin ziehen also los in die nächste Kneipe, um dort mal nachzufragen.
Zum Glück kann der Wirt englisch. Schnell ist das Problem geschildert;
der Wirt berät sich mit den Männern, die in einer Ecke Karten spielen,
dann ruft er irgendjemand an. Danach verkündet er stolz, ein Taxifahrer
würde in wenigen Minuten kommen. Und er kommt tatsächlich. Inzwischen
ist auch Marianne zu den beiden gestoßen, und die Wartezeit wird mit
einem Aperitif verkürzt.
Der Taxifahrer ist Besitzer eines kleinen Busses und kann uns alle problemlos
auf einmal zum Monte Cucco bringen. 88.000 Lire werden als Pauschalpreis
vereinbart; das sind je Person gerade mal acht Mark! Nach kurzer Zeit
kommt er mit seinem Bus vorgefahren und wir verladen unsere Rucksäcke.
Svenja hat sich inzwischen von einem ihrer Zähne befreit. Nun kann es
weitergehen.
In Sigillo verlassen wir - wie im Reiseführer beschrieben - die Haupstraße
im Tal. Nun geht es ständig in Serpentinen steil bergauf. Leitplanken
gibt es nicht; manchmal kann es einem links und rechts schon ein wenig
schwindelig werden. Nach weiteren sechs Kilometern sind wir am Ende
der Teerstraße angekommen. Hier ist für unseren Bus Endstation. Wir
zahlen und bedanken uns herzlich - es ist kurz nach fünf und wir haben
unser Ziel erreicht! Vor uns erhebt sich die Spitze des Monte Cucco
- wir sind genau richtig für die morgen geplante Höhlentour.
Dennoch sind wir hier oben nicht allein! Mehrere deutsche Drachenflieger
packen gerade ihre Ausrüstung zusammen. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch
und erkundigen uns, ob gegen freies Campen irgendwelche Bedenken bestünden.
Die Drachenflieger lachen: die Forstbehörden hätten genug mit den Jägern
zu tun; wir sollten aber aufpassen, daß wir nicht allzuheimlich durchs
Unterholz laufen (ebenfalls wegen der Jäger). Marianne macht sich mit
den Kindern auf, um Wasser fürs Kochen zu holen; unterwegs sehen sie
frei grasende Pferde auf den Berghängen. Von hier oben hat man eine
tolle Aussicht hinab ins abendliche Tal.
Nur - wo jetzt zelten? Hier oben auf dem Sattel weht ein frisches Windchen
(bis 40 Stundenkilometer, sagen die Drachenflieger). Eine kleine, etwas
tiefergelegene Terrasse würde Platz für beide Zelte bieten. Leider ist
an der Stelle, an der Tschernobyl aufgebaut werden soll, absolut nichts
mit den Häringen zu machen. Nachdem wir einige davon fluchend im Felsboden
krumm geschlagen haben, geben wir auf - es muß doch noch woanders eine
geeignete Stelle geben. Die Wasserholer sind inzwischen zurück und meinen,
sie hätten was geeignetes gefunden. Also machen wir uns dorthin auf.
Leider ist das Gelände dort auch nicht besser, zwar etwas mehr windgeschützt,
dafür aber recht steil. Wir beschließen, mitten auf dem Sattel Tschernobyl
aufzubauen - schließlich ist es ja aus Norwegen gletscher- und sturmerprobt.
Dafür ist der Platz schön flach und aus bestem Unterboden.
Leider ist es inzwischen schon recht dunkel geworden. Zusätzlich erschweren
die fehlenden (krummen) Häringe den Aufbau; also müssen erst einmal
einige aus dem Holz der weiter unten wachsenden Büsche geschnitten werden.
Vorsichtshalber - der Wind weht wirklich recht ordentlich! - werden
sämtlich Sturmleinen zusätzlich abgespannt und auch noch durch dicke
Steine gesichert. Die Kinder haben mit Marianne inzwischen auch schon
fleißig Holz fürs Lagerfeuer gesammelt.
Während Sarah, Svenja und Christoph ihre Sachen einräumen, entfacht
Jan unten auf der Terrasse das Feuer . Die ersten Rationspackungen aus
den Epas oder alternativ Cevappcicis (für diejenigen, die sich noch
nicht mit grünen Bohnen oder Bauerntopf anfreunden können)sollen die
erste warme Mahlzeit des Tages geben. Zu den Epas gibt es ein Schlückchen
Rotwein. Über uns ein fantastischer, sternklarer Himmel, aber recht
kalt und ungemütlich windig. Jeder verkriecht sich gern in seinem warmen,
gemütlichen Schlafsack. Ruhe senkt sich über das Lager.
Der erste Tag der Tour ist vorbei - zwar sind wir noch kaum gewandert;
dafür haben wir aber die besten Voraussetzungen für den weiteren Weg.
Unser Basislager direkt am Fuß des Monte Cucco liegt optimal für die
morgige Höhlenexkursion.
Ganz vorbei ist der Tag aber noch nicht - es soll noch eine aufregende
Nacht vor uns liegen! Gegen zwölf, eins, sind alle wieder wach - der
Wind ist während der Nacht immer stärker geworden, eigentlich schon
mehr ein Sturm. Während das Dovrefjell unten windgeschützt liegt, bekommt
Tschernobyl die volle Wucht ab.
Mehrmals müssen die Leinen überprüft werden; hier ist aber alles in
Ordnung. Dennoch beult sich die dem Wind ausgesetzte Seite des Kuppelzeltes
bei den heftigen Böen immer wieder stark ein. In den kurzen Windpausen
kann jeder deutlich das Knirschen des auf extremer Spannung stehenden
Alugestänges hören. Martin erzählt aufmunternde Geschichten, wie dieses
Zelt in Sardinien beim Sturm und Regen nach zwei Tagen abgesoffen ist
und wie damals eine der Stangen brach; und wie es war, als 1989 auf
dem Gletscher in Norwegen nachts der Schneesturm zwanzig Zentimeter
Neuschnee brachte und das Gestänge mit dem Gasbrenner aufgetaut werden
mußte.
Mit zunehmender Windstärke wird Martin aber auch stiller und bekommt
Angst um das Zelt. Aber irgendwann wird man auch den stärksten Sturm
leid und zieht sich den Schlafsack über die Ohren, um wenigstens einige
Stunden schlafen zu können.
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